100 Jahre GAV - Möglichkeiten und Grenzen der Gesamtarbeitsverträge
Vor hundert Jahren wurden die Gesamtarbeitsverträge ins Schweizer Obligationenrecht aufgenommen. Zu diesem Anlass veranstalten die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern heute eine Tagung in Bern.Eine sehr gute Geschichte der GAV schrieb der Unia-Co-Präsident Andreas Rieger (Link).
Obwohl die GAV bei der Regulierung des Schweizer Arbeitsmarktes eine grosse Rolle spielen, treten sie der breiten Öffentlichkeit vor allem dann ins Bewusstsein, wenn es Konflikte gibt. Wie gegenwärtig beispielsweise im Bau.
Über die GAV haben sich die Arbeitsbedingungen der Schweizer Arbeitnehmenden stark verbessert. Mindestlöhne, Arbeitszeiten, Aus- und Weiterbildung usw. konnten eingeführt werden. Was in GAV möglich ist, zeigt beispielsweise die Möglichkeit eines vorzeitigen Altersrücktritts im Bauhauptgewerbe (FAR). Ein Modell, welches auch in anderen Branchen realisiert werden muss.
Immer wieder wird die Friedenspflicht und mit ihr die disziplinierende Wirkung der GAV als wichtige Errungenschaft erwähnt. Dies dürfte übertrieben sein. Dass in der Schweiz weniger gestreikt wird als im Ausland dürfte zu einem grossen Teil auf die direkte Demokratie zurückzuführen sein. Weil die Gewerkschaften gegen den Abbau der Arbeitnehmerrechte oder des sozialen Schutzes in den Gesetzen das Referendum ergreifen können, müssen sie das Instrument des Streiks weit weniger einsetzen als Gewerkschaften in anderen Ländern. Weiter ist die bis Ende der 1980er Jahre tiefe Arbeitslosigkeit zu erwähnen, die zu weniger Konflikten geführt hat.
In der Schweiz profitieren rund 50 Prozent der Beschäftigten von einem GAV. Das zeigt die Grenzen dieses Instruments. 50 Prozent haben keinen GAV - teilweise weil es in ihrer Branche keine organisierten Arbeitgeber gibt (Hauswirtschaft usw.). Bemerkenswert ist deshalb auch der Lösungsvorschlag der Regierung Merkel in Deutschland. Damit auch die Beschäftigten über Mindestlöhne geschützt sind, sollen die Sozialpartner der Dachverbände stellvertretend Mindestlöhne für diese Branchen "aushandeln".
Ebenfalls zu lösen sind die Durchsetzungsprobleme bei den GAV-Bestimmungen. Viele Fälle von Lohndumping können nicht bekämpft werden, weil die Aufträge über Subunternehmerketten an dubiose Firmen vergeben werden. Hier wäre die Lösung die Solidarhaftung - dass der Erstauftragnehmer in solchen Fällen haften muss, wie das in Österreich der Fall ist.
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