Schwierige Bekämpfung des Lohndumpings in der EU und in Deutschland - Schlussfolgerungen für die Schweiz
Mit der Abschaffung des Saisonniersstatuts und Verbesserungen der Aufenthaltsrechte hat die Personenfreizügigkeit die Lage der Arbeitnehmenden in der Schweiz verbessert. Doch gleichzeitig wurden mit ihr auch neue prekäre Arbeitsformen gefördert. Ausländische Firmen brauchen für Tätigkeiten bis 90 Tage keine Bewilligung mehr (Entsendungen). Und die Temporärarbeit für Kurzaufenthalter wurde zugelassen. Nur dank den Schweizer Flankierenden halten sich die negativen Auswirkungen in Grenzen.
Wie gross die Probleme ohne wirksame FlaM sein können und was der Europäische Gerichtshof damit zu tun hat, zeigt eine hervorragende Analyse der Entsendungen in der EU und insbesondere in Deutschland von Ines Wagner.
- Entsendefirmen sind ausländische Firmen, die im Gastland Dienstleistungen (Bau, Reinigung, Informatik usw.) erbringen. Ihr Personal ist im Herkunftsland angestellt. Polnische Firmen haben polnische Arbeitsverträge und Sozialversicherungsregeln – auch wenn sie in der Schweiz tätig sind.
- Zu den Entsendungen gibt es zahlreiche Urteile des Europäischen Gerichtshofs. 1989 hat er entschieden, dass Entsendungen Dienstleistungen sind – und keine Arbeitsmigration. In dieser Logik geht der Marktzugang der Entsendefirmen den Arbeitnehmerschutzbestimmungen im Gastland vor. Seit Mitte der 2000er- Jahre zahlreiche Entscheidungen, in denen der EuGH den Marktzutritt der Firmen höher gewichtete als den Lohnschutz.
- Die Gewerkschaften können die Entsandten kaum organisieren, da die Firmen und ihre Angestellten vorübergehend aus einem anderen Land kommen. Die Firmen kommen und gehen.
- Die Durchsetzungsrichtlinie hat die möglichen Massnahmen zum Lohnschutz seit 2014 eingeschränkt. So ist beispielsweise keine Voranmeldepflicht der Firmen mehr möglich. Dass der Marktzugang der Entsendefirmen Priorität hat, geht auch aus der Durchsetzungsrichtlinie hervor. Denn die Lohnschutzmassnahmen müssen „verhältnismässig“ und „gerechtfertigt“ sein. Darüber entscheidet der EuGH.
- In Deutschland hat das beispielsweise im Bau und in der Fleischverarbeitung zu grossen Problemen geführt. Die deutschen Baufirmen und Schlachthöfe haben in grösserem Stil ausländische Firmen als billige Subunternehmer eingeführt. Mit entsprechenden Problemen bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen. Im deutschen Bau ist der Anteil der Subunternehmen auf 30 Prozent gestiegen (Anteil an den Gesamtkosten).
Das Buch kommt klar zum Schluss, dass der Lohnschutz bei Entsendungen in der EU deutlich verbessert werden muss. Wie übrigens auch eine neue Studie zur Lohndurchsetzung in Deutschland. Diese kritisiert u.a., dass der deutsche Staat die Zahl der Lohnkontrollen heruntergefahren hat und dass die Bussen im Ausland nicht durchgesetzt werden können. Die Studie fragt sich angesichts dieser Befunde etwas verzweifelt, ob die Entsendungen nicht sogar verboten werden sollen.
Auch in der Schweiz ist die Zahl der Entsendungen gestiegen. In den letzten Jahren vor allem aus den neuen Mitgliedstaaten. Im Unterschied zu Deutschland wird hierzulande aber viel mehr kontrolliert. Und weil die Bussen schlecht durchgesetzt werden können, hat die Schweiz die Kaution eingeführt. Diese wichtigen Errungenschaften wären beim Rahmenabkommen von Bundesrat Cassis gefährdet. Die Kaution fällt fast vollständig weg, wie auch die Voranmeldung usw. Und bei den Kontrollen ist das Risiko gross, dass der EuGH die aktive Kontrolltätigkeit bei Entsendefirmen als „unverhältnismässig“ oder „diskriminierend“ beurteilen würde. Gefährdet wäre generell der Vollzug der Schweizer GAV. Dieser ist europaweit ein Unikat (privatrechtliche Struktur, Beteiligung der Arbeitgeber an den Kontrollen und am Sanktionsprozess).
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