Die Panik der letzten Wochen in Bezug auf die italienischen Staatsfinanzen ist aus einer makroökonomischen Sicht nicht nachvollziehbar.
Dass Berlusconi eine Hypothek für das Land ist, war schon seit langem klar. Klar ist auch, dass ein Land, in welchem sich eine Regierung wie diejenige Berlusconis lange an der Macht halten kann, Fragen aufwirft. Doch diese sind eher politischer als ökonomischer Art.
Zur Beurteilung von Staatsfinanzen gibt es ein paar Basics, die zu beachten sind (Statistiken dazu bei OECD zu Staatsfinanzen bzw. Ertragsbilanz):
a) Bei den jeweils ausgewiesenen Staatsschulden handelt es sich um Bruttoschulden – also Schulden ohne Berücksichtigung des Vermögens. Die Nettoschulden sind jeweils deutlich tiefer. In Italien ist dieser Unterschied weniger ausgeprägt als in anderen Ländern. Aber immerhin schrumpft auch hier die Staatsschuld um 25 BIP-Prozente, wenn das Vermögen mitgezählt wird.
b) Ein Staat ist keine Firma. Seine finanzielle Lage kann nicht am Staatsdefizit oder der Staatsschuld beurteilt werden. Entscheidend ist, ob der Staat als Gemeinschaft der Steuerpflichtigen (nat. und jur. Personen) seinen Verpflichtungen nachkommen kann. In den meisten Ländern schreibt der Staat (Zentralstaat, Kantone, Gemeinden) zwar Defizite. Doch der Privatsektor macht Überschüsse. Werden die Defizite und Überschüsse miteinander verrechnet, so kann sich Italien weitgehend selber finanzieren. Die Ertragsbilanz ist nicht in dramatischem Mass defizitär (Current account in der Statistik). Das im Gegensatz beispielsweise zu Griechenland, welches (gemäss offiziellen Statistiken) auf ausländisches Kapital angewiesen ist.
c) Eine Neuverschuldung eines Staates muss im Weiteren auch deshalb kein Problem sein, wenn die Verschuldung im Verhältnis zum BIP nicht extrem ansteigt. Eine Kennzahl dafür ist der so genannte Primärstaatshaushalt. Dieser misst das Defizit ohne Ausgaben für Zinszahlungen. Wenn man – wie in der ökonomischen Theorie – davon ausgeht, dass die Zinsen in der längeren Frist dem längerfristigen Wirtschaftswachstum entsprechen, so gewährleistet ein ausgeglichener Primärhaushalt, dass die Bruttoschuldenquote (Bruttoschuld in Prozent des BIP) konstant bleibt. Italien hat sogar einen Primärüberschuss.
Eine makroökonomische Betrachtung relativiert die Panik in Bezug auf die italienischen Staatsfinanzen ganz eindeutig. Warum dann die Panik? Ein Teil der Erklärung ist ökonomische Inkompetenz. Zu vermuten ist weiter, dass die Finanzmarktkreise den Staaten gegenüber so negativ eingestellt bzw. misstrauisch sind, dass nicht in der Lage sind, eine vernünftige Analyse vorzunehmen. Schliesslich kommt Herdenverhalten dazu. Wenn es auf den Finanzmärkten in eine Richtung geht, wird diese Richtung in der Regel durch gleichgerichtetes Anlegerverhalten verstärkt – egal wie unsinnig die Bewegung aus makroökonomischer Sicht ist (so auch beim Franken).
Das Problem ist aber, dass die Panik über stark überhöhte Zinsen für Italien, zu Finanzierungsproblemen beim italienischen Staat führen kann. Die Panik schafft sich das Problem selber.
Ein Detail zur Italienischen Ertragsbilanz: Die Handelsbilanz Italiens gegenüber den EU-Staaten ist weitgehend ausgeglichen (S. 242). Italien ist gegenüber den übrigen EU-Staaten - wenn man will - "wettbewerbsfähig". Ein Importüberschuss (Defizit) resultiert hingegen aus dem Handel mit den Staaten ausserhalb der EU. Wobei das Defizit 2010 gegenüber 2009 zugenommen hat. Das hängt mit dem Ölpreis zusammen, der sich in der italienischen Handelsbilanz besonders niederschlägt, da das Land viel Öl importiert. Zwischen 2009 und 2010 stieg das Handelsbilanzdefizit denn auch vor allem aus dem Handel mit den OPEC-Staaten oder Afrika (Libyen).