Bedeutende Kaufkraft- und Nachfrageprobleme, überschätzter Handelsstreit: Zur aktuellen Konjunkturlage
Insgesamt läuft die Konjunktur besser als sie in letzter Zeit in gewissen Medien dargestellt wurde. Sie hat sich zwar abgekühlt. Doch die Zahl der offenen Stellen in der Schweiz ist beispielsweise unverändert geblieben oder sogar noch gestiegen. Auch die Geschäftslage ist in der Mehrheit der Firmen nach wie vor gut oder befriedigend. Das zeigen die Umfragen der KOF ETH.
Am wenigsten gut läuft es in Teilen der Industrie (insb. MEM) und im Detailhandel. Die MEM-Branchen leiden vor allem unter der globalen Investitionszurückhaltung, wobei insbesondere die Entwicklung in Deutschland negativ auffällt. Dort geht die Industrieproduktion im europäischen Vergleich bereits seit Anfang Jahr besonders stark zurück. In der Schweiz ist es weniger schlimm. Die Maschinenhersteller rechnen mit einer leichten Zunahme des Bestellungseinganges und der Exporte (Umfrageergebnisse der KOF ETH).
Viele Beobachter geben dem Handelsstreit zwischen der USA und China die Hauptschuld für die Konjunkturabkühlung. Doch das ist falsch. Dieser trifft in erster Linie die Hersteller in den USA und China, da die beiden Länder für die EU-Staaten kaum Handelshindernisse aufgebaut haben. Die EU-Staaten und die Schweiz können unter Umständen sogar von Ausweichbewegungen profiteren. Das zeigen auch die roten Balken in der Modellschätzung des IWF („Trade war with China“), die nur für die USA und China nach unten zeigen. Doch selbst in den USA oder in China sind die geschätzten Auswirkungen mit -0.3 bzw. -0.6 BIP-Prozenten eher bescheiden.
Auswirkungen von Aussenhandelsbeschränkungen auf das BIP (Abweichung gegenüber Entwicklung ohne Beschränkungen, in Prozent)
Mindestens ebenso bedeutend wie der Handelsstreit sind klassische Nachfrageprobleme. Besonders schwer wiegt, dass Deutschland als grösste Wirtschaft in Europa als Konjunkturlokomotive versagt. Die Firmen bunkern Gewinne, anstatt dass sie mehr investieren und die Löhne deutlich erhöhen würden. Der Detailhandel wächst nur schwach. Der Anteil des Konsums am BIP ist auf einen Tiefstand gesunken.
Reale Detailhandelsumsätze (2015=100, saisonbereinigt)
Die Schweiz ist im gleichen Spital krank – bzw. sogar noch kränker. Die Reallöhne steigen seit drei Jahren in den meisten Branchen kaum. Die Pensionskassenrenten sinken sogar. Dazu kommen die steigenden Gesundheitsausgaben, wodurch immer weniger Kaufkraft in den Detailhandel und in die anderen Konsumbereiche fliesst. Pro Kopf sind die Konsumausgaben (ohne Gesundheit) in den letzten beiden Jahren um je rund 0.5 Prozent gesunken.
Ebenfalls Anlass zur Sorge gibt die Finanzpolitik der öffentlichen Hand. Mittlerweile kriegt der Bund jährlich ein Prozent Zins gutgeschrieben (!), wenn er einen Kredit für 10 Jahre aufnimmt. Weltweit befindet er sich mittlerweile in bester Gesellschaft. Ein Drittel der global ausstehenden Obligationen (ca. 16 Bio. Dollar) werden negativ verzinst. Die Anleger und Kreditgeber schreien geradezu nach Anlagemöglichkeiten. Doch die Finanzpolitik verhält sich hochgradig irrational. Statt von diesen historisch einmalig günstigen Konditionen zu profitieren strebt sie weiterhin Ausgabenüberschüsse an – in der Schweiz, in Deutschland, aber auch anderswo.
In der Schweiz kommt noch der überbewertete Franken dazu. Die SNB schweigt nach wie vor zur Frage, wo sie den Franken haben will.
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