Fehlkonstruktion der Schuldenbremse: Falsche Sparpolitik insbesondere bei längeren Rezessionen
Wäre die Schuldenbremse des Bundes eine Velobremse, möchte niemand damit fahren. Sie bremst viel zu stark und behindert das Vorankommen der Wirtschaft. Wenn die Verwaltung weniger ausgibt als budgetiert oder die Einnahmen unterschätzt werden, steht das eingesparte Geld später nicht zur Verfügung. Das spült Jahr für Jahr im Mittel bis zu 2 Mrd. Fr. in die Bundeskasse. Der Bund sitzt mittlerweile – gemessen an internationalen Standards auf einem Reinvermögen von über 30 Mrd. Fr. Gleichzeitig steht die öffentliche Hand bei den Investitionen und neuerdings sogar bei der Bildung auf der Bremse.
Dazu kommen technische Probleme. Die Schuldenbremse sollte in Rezessionen konjunkturell bedingte Defizite zulassen und in der Hochkonjunktur Überschüsse erzwingen. Doch der so genannte Konjunkturfaktor, der das steuern soll, zwingt dem Bundeshaushalt bei längeren Rezessionen eine Sparpolitik auf. Denn der Konjunkturfaktor wird mit einer statistischen Methode ermittelt („modifizierter“ Hodrick-Prescott-Filter). Diese geht davon aus, dass Rezessionen und Hochkonjunkturphasen relativ kurz sind. In längeren Rezessionen vermittelt der Filter fälschlicherweise das Bild, dass man sich nicht in einer Rezession, sondern in einer wirtschaftlichen Normalsituation befindet.
In der Ökonomie gibt es zahlreiche andere Verfahren, um die konjunkturelle Auslastung einer Wirtschaft zu messen. Die SNB verwendet beispielsweise eine „Produktionsfunktion“, welche anzeigt, was die Wirtschaft mit den vorhandenen Ressourcen (Arbeit, Kapital) zu produzieren imstande wäre (S. 16). Das Verfahren basiert aber auch auf einer Reihe von Annahmen. Momentan ist die über eine Produktionsfunktion geschätzte Unterauslastung der Schweizer Wirtschaft fast 1-BIP-Prozent grösser als die mit einem statistischen Filter berechnete (die Differenz zum modifizierten Filter des Bundes ist etwas geringer).
In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Papier des IMF wurde eine andere Messweise angewendet. Diese nennt sich BIP-Lohneinheiten (GDP wage units). Die Berechnung ist simpel. Das BIP wird durch den Nominallohn (pro Vollzeitäquivalent) dividiert. Dadurch wird es um die Inflation und das Produktivitätswachstum bereinigt. Weil das BIP auch wegen der Bevölkerungszunahme wächst, wird abschliessend noch das Wachstum der Erwerbspersonen abgezogen.
Für die Schweiz ergibt das ein eher beunruhigendes Bild. Seit ungefähr Mitte der 1990er Jahre ist die Auslastung der Schweizer Wirtschaft trendmässig gesunken. In den 2000er Jahren gab es eine vorübergehende Stabilisierung. Doch mit der starken Frankenaufwertung seit 2010/11 ging es erneut bergab. Das ist in der Grafik unten klar erkennbar. All diese Entwicklungen werden vom statistischen Filter ignoriert. Dieser zeichnet ein viel rosigeres Bild der Auslastung der Schweizer Wirtschaft.
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