"Umsetzung" der Masseneinwanderungsinitiative: Verhandlungen mit der EU sind nicht erforderlich - unilaterale, nicht-diskriminierende Lösung wäre zielführend
Nach dem Entscheid der Briten orakelt ein grosser Teil der Schweizer Politik, wie es nun mit den „Verhandlungen“ mit der EU weitergeht. Doch dass verhandelt werden muss, war ursprünglich eine Forderung der SVP, die der Bundesrat übernommen hat. Aus der Masseneinwanderungs-Initiative geht das nicht hervor (Art. 121a BV). Das ist nicht erstaunlich. Denn bereits im Abstimmungskampf zur Masseneinwanderungsinitiative hatte man den Eindruck, dass nur die wenigsten SVP-Vertreter den Text richtig gelesen haben.
In Abs. 3 steht: „Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten“. Konkret heisst das, dass der Inländervorrang bereits bei der Festlegung der Kontingente berücksichtigt werden muss. Nicht die Kontingente, sondern der Inländervorrang geht vor. Wobei zur Klärung noch erwähnt werden muss, dass die SVP nach der Abstimmung kleinlaut zugeben musste, dass der „Vorrang der Schweizerinnen und Schweizer“ eigentlich ein „Inländervorrang“ sei – also die in der Schweiz wohnenden Personen ohne Schweizer Pass einschliesst. Der französische Text enthält diese Bestimmung in dieser Art (so viel zur Qualität des Verfassungsartikels …).
Im Verfassungsartikel steht aber nirgendwo, dass der Inländervorrang im Bewilligungsverfahren durchgesetzt werden muss – wie im früheren Schweizer Kontingentssystem oder im Verfahren gegenüber Drittstaatsangehörigen. Die entsprechende Behauptung der SVP entspricht nicht dem Verfassungstext.
Verfassungskonform sind Formen eines Inländervorrangs, welche a) nicht nach Staatsangehörigkeit diskriminieren und b) nicht über das Bewilligungsverfahren umgesetzt werden.
Wenn die Schweiz beispielsweise die Firmen verpflichtet, offene Stellen den RAV zu melden, erhöht das die Chancen der InländerInnen bei der Stellensuche. Die Massnahme steht aber nicht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit. Auch eine Verstärkung des Lohnschutzes (Erleichterungen bei der Allgemeinverbindlicherklärung von GAV oder Vorgaben im Beschaffungsrecht) verhindert, dass die Arbeitgeber „billigere“ Arbeitskräfte aus dem Ausland auf Kosten der InländerInnen einstellen. Die beruflichen Chancen der InländerInnen werden auch durch einen besseren Schutz der älteren Arbeitnehmenden, durch ein besseres Angebot bei Krippen und Horten oder durch Massnahmen im Bereich der Aus- und Weiterbildung erhöht. All diese Massnahmen stehen nicht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit und können ohne Verhandlungen mit der EU eingeführt werden.
Überhaupt sind die Erwartungen an die Verhandlungen zu hoch. Denn der Art. 14(2) des FZA, auf dessen Basis die Verhandlungen geführt werden, sieht nur temporäre Massnahmen mit dem Einverständnis der EU vor. Zudem müssen ökonomische oder soziale Probleme nachgewiesen werden.
Wenn der Bundesrat den Mut und den Willen hätte, könnte er die Verhandlungen mit Brüssel abbrechen und wirksame, nicht-diskriminierende Massnahmen vorschlagen. Die SVP würde toben. Doch für die Berufstätigen hierzulande wäre das ein Segen. Der Bilaterale Weg wäre gesichert. Und ihre berufliche Lage würde sich verbessern.