Finanzmarktregulierung: Können die Versicherungen entschlüpfen?
Nach wie vor beschäftigt sich die Regulierungsdiskussion nach der Finanzkrise vor allem mit den Banken. Doch mit AIG geriet eine US-Versicherung in der Finanzkrise in einem Ausmass in Schieflage, welches gravierende, systemweite Auswirkungen hatte. So wie die Regulierungsdiskussion momentan läuft, könnten die Versicherer die grossen Gewinner sein - auch in der Schweiz. Indem die Banken stärker reguliert, die Versicherer aber geschont werden, dürften in Zukunft noch mehr riskante Geschäfte von den Banken an die Versicherer ausgelagert werden. Im letzten Blogeintrag wurde bereits aufgezeigt, wie die AIG über Derivate Risiken von den Banken übernommen hat.
Die Schweizer Arbeitsgruppe "Too-big-to-fail" schreibt in ihrem Zwischenbericht zwar, dass es Handlungsbedarf im Versicherungssektor gäbe. Doch die Finma hätte die erforderlichen Kompetenzen (Link, S. 15). Es seien keine zusätzlichen Massnahmen notwendig.
Doch selbst in der Finma klingt das etwas prononcierter. Das zeigt ein Working paper der Finma (Link). Bis zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes im Jahre 2006 sei den Versicherungen das "versicherungsfremde Geschäft" (Bankgeschäft, Betrieb von Anlagegesellschaften und -fonds) verboten gewesen (S. 60). Dann sei eine Deregulierung erfolgt, die das Verbot durch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ersetzt hätte. Damals wäre die Ansteckungsgefahr von den Finanzmärkten auf die Versicherung unterschätzt worden. Die Finma schreibt weiter, dass der heutige Erlaubnisvorbehalt nicht ausreichen würde, da "er sich nur auf die einzelne Versicherungsunternehmung bezieht" (S. 61).
Man darf gespannt sein, was im Schlussbericht der "Too-big-to-fail" Arbeitsgruppe zur Regulierung der Versicherungen stehen wird. Doch man muss damit rechnen, dass in Bezug auf die Versicherungen keine gesetzlichen Massnahmen vorgeschlagen werden.
Das entspricht der eigenartigen Logik dieser Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe hat das Regulierungsproblem immer auf der Ebene der Einzelfirma gesehen. Es geht ihr um Einzelrisiken, nicht um Marktrisiken - ganz gemäss der alten Regulatorenperspektive. Sie kommt zum Schluss, dass keine Versicherung in der Schweiz gross genug sei, als dass sie nicht ohne Systemfolgen Konkurs gehen könne. Viel mehr ist nicht zu lesen.
Doch der kritische Faktor bei der Finanzkrise war die Verflechtung vieler Firmen, die zusammen zu wenig Kapital hatten um Verluste aufzufangen. Das zeigt u.a. die hervorragende Übersicht über das Schattenbankensystem des New York Fed (Link, S. 3). Der Einbruch im US-Immobilienmarkt zog eine Krise in den Firmen nach sich, die verbriefte Kredite oder Derivate zur Absicherung solcher Geschäfte hatten. Sie hatten Probleme das Geld zu beschaffen, um sich zu refinanzieren (z.B. IKB) oder um die Gegenparteien der Verlustausfalls-Derivate zu entschädigen (z.B. AIG). Sie mussten Wertpapiere besserer Qualität verkaufen (fire sales) um zu Geld zu kommen mit dem Effekt, dass die Wertpapierkurse auf breiter Basis einbrachen, was die Probleme verstärkte.
Eine Finanzkrise kann deshalb auch dann zu einem grossen Problem werden, wenn zahlreiche Finanzfirmen (Banken, Versicherungen, Fonds usw.) stark miteinander verflochten sind und alle zusammen zu wenig Reserven und Liquidität haben, um die Probleme aufzufangen.Too-big-to-fail ist daher ein zu enger Blick auf die Probleme und den Regulierungsbedarf. Es braucht einen Systemblick - und dazu gehört auch die strengere Regulierung der Versicherungen. Z.B. über ein Verbot des versicherungsfremden Geschäfts.