Vor Weihnachten erhielten die Arbeitnehmenden aus der EU und aus der Schweiz schlechte Nachrichten aus Brüssel. Der EU-Ministerrat unterschrieb nämlich das von der EU-Kommission vorbereitete Papier zu den Beziehungen zur Schweiz, welches einmal mehr eine Kritik der Flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz enthielt. Kritisiert wird beispielsweise, dass sich ausländische Firmen (Bau, Reinigung usw.) acht Tage im Voraus anmelden müssen, um in der Schweiz Dienstleistungen erbringen zu können. (S. 6). Diese Massnahmen seien nicht kompatibel („not compatible“) mit der Personenfreizügigkeit.
Wer das Abkommen hingegen genau anschaut, hat Mühe, der Argumentation zu folgen. Eines der Ziele des Abkommens in Art. 1 ist die „Einräumung der gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer“. Im Anhang wird das noch präzisiert (Art. 9): „Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung [...] nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.“
Damit diese Bedingungen durchgesetzt werden können, müssen die Arbeitsbedingungen - insbesondere die Löhne – kontrolliert werden. Und damit die Löhne kontrolliert werden können, müssen die Kontrolleure wissen, wo die Firmen aus der EU arbeiten. Deshalb braucht es eine Meldung. Damit die Kontrolleure rechtzeitig vor Ort sein können, muss die Meldung im Voraus gemacht werden. In der Praxis ist das kein Problem. Ausländische Firmen haben für ihre Arbeiten in der Schweiz eine bestimmte Vorlaufzeit. Gerade im Bau- oder Baunebengewerbe gibt es eine Bauplanung, die Offertstellungszeit, die Vergabezeit und dann die Terminfestlegung. Bis zum effektiven Einsatz dauert das in weit über 95 Prozent der Fälle, deutlich über 8 Tage. Die 8-Tage-Voranmeldung ist kein Problem. In Notfällen wie Reparaturen, Unfällen, Naturkatastrophen oder anderen nicht vorhersehbaren Ereignissen kann die Arbeit vor Ablauf der achttägigen Frist aufgenommen werden. Die Einsätze der Firmen sind vergleichsweise kurz. Mehr als die Hälfte aller Meldepflichtigen ist weniger als 8 Tage in der Schweiz tätig. Ohne Voranmeldung hätten die Unternehmen aus der EU in vielen Fällen den Einsatz schon beendet, bevor die Kontrollorgane vom Einsatz wissen.
Um die vor Ort auftretenden Probleme mit Flankierenden Massnahmen zu lösen, hat die Schweiz die Nachbarländer Deutschland und Österreich in einer trinationale Arbeitsgruppe eingeladen. In dieser Arbeitsgruppe wurde in einer konstruktiven Atmosphäre Lösungen erarbeitet. Die Wirtschaftsminister der beteiligten Länder kamen zum Schluss (S. 34), dass die Gruppe ihren Auftrag erfüllt hätte. Umso mehr erstaunt es, dass aus Brüssel die alte Kritik an den Flankierenden wieder laut wird. Während die betroffenen Firmen vor Ort mit dem Resultat zufrieden waren, halten die Karriere-Diplomaten in Brüssel an ihrem Standpunkt fest.
Die Zahl der Firmen aus der EU, die in die Schweiz arbeiten kommen, hat extrem stark zugenommen. Im laufenden Jahr hatten sie Aufträge für knapp 2.5 Mio. Arbeitstage in der Schweiz. Das entspricht einem Auftragsvolumen von rund 1.5 Mrd. Fr. (ohne Materialkosten). Im EU-Vergleich dürfte die Schweiz einen Spitzenplatz einnehmen. Zahlen für das Jahr 2009 (Seiten 84ff.) zeigen, dass gemessen an der Wohnbevölkerung in keinem anderen Land netto so viele Arbeitnehmende aus ausländischen Firmen tätig waren wie in der Schweiz (41‘000 bei einer Wohnbevölkerung von knapp 8 Mio.). Einzig Belgien kann noch knapp mithalten (45‘000 bei knapp 10 Mio. Wohnbevölkerung). Der Vorwurf, die Schweizer Flankierenden würden die Tätigkeit ausländischer Firmen behindern, ist so gesehen nicht nur ein Witz, sondern sogar tendenziös. Er passt gut in die Ideologie der Brüsseler Karriere-Diplomaten den Arbeitnehmerschutz nicht nur in den südlichen Euro-Staaten, sondern europaweit abzubauen. Die Gewerkschaften in der Schweiz und in der EU werden diese Bestrebungen weiter bekämpfen. Sie schaden den Arbeitnehmenden aus dem In- und Ausland. Oder wie einmal ein Deutscher bei einer Kontrolle sagte: "Die Kontrollen sind super. Wir wollen keine deutschen Verhältnisse in der Schweiz".