Tagi hetzt die mittleren auf die tiefen Einkommen - mit sehr fragwürdigen Zahlen
Ein Gastblog von David Gallusser:
Am Samstag machte der Tages-Anzeiger kräftig Stimmung gegen die tiefen Einkommen im Land. Er versuchte uns weis zu machen, dass die mittleren Einkommen in der Schweiz unter Druck geraten, weil die tiefen Einkommen zu viele staatliche Leistungen erhalten würden.
Heute veröffentlichte das Bundesamt für Statistik (BFS) ihre neuste Analyse zur Einkommensverteilung in der Schweiz. Ihr Fazit: Die Ungleichheit hat sich in den letzten Jahren kaum verändert.
Sowohl der Tages-Anzeiger als auch das BFS streuen uns damit Sand in die Augen. Die Ungleichheit der Einkommen hat sich in den letzten Jahren nämlich weiter zugespitzt. Und die Profiteure sind nicht etwa die tiefen Einkommen, sondern die höchsten:
- Das einkommensstärkste Prozent besitzt einen immer grösseren Teil der Einkommen. Ebenso besitzen die Vermögendsten immer mehr.
- Die tiefen und mittleren Löhne sind viel langsamer gewachsen als die hohen und höchsten Löhne.
- Bund und Kantone haben mit ihrer Steuer- und Abgabenpolitik tiefe und mittlere Einkommen noch weiter belastet. Verantwortlich dafür sind v.a. die steigenden Krankenkassen-Prämien und die Prämienverbilligungen die mit dem Prämienanstieg nicht Schritt gehalten haben. Den höchsten Einkommen und Vermögen wurden dagegen die Steuern kräftig gesenkt.
Die Folge dieser unsozialen Steuer- und Abgabenpolitik: Die tiefen und mittleren Einkommen bezahlen im Verhältnis zu ihrem Einkommen praktisch gleich viele Steuern und Abgaben wie die obersten Einkommen (vgl. Grafik). Die Schweiz gehört zum Land in Europa, dass die Ungleichheit durch die öffentliche Hand am wenigsten verringert.
Das BFS kommt zu anderen Ergebnissen, weil es mit der Haushaltsbudget (HABE) eine weniger verlässliche Datengrundlage verwendet. Die HABE-Daten beruhen auf einer kleinen Stichprobe von 3000 bis 4000 Haushalte (ca. 0.1% alle Haushalte in der Schweiz) pro Jahr. Von so wenigen Fällen auf die ganze Bevölkerung zu schliessen ist problematisch. Insbesondere weil bloss die Hälfte aller kontaktierten Haushalte an der Befragung teilnimmt. Zudem ist bekannt, dass bei solchen Befragungen Arme und vor allem Reiche viel weniger mitmachen. Dadurch wird die Ungleichheit unterschätzt.
Der Artikel des Tagis stützt sich auf eine Studie von Monika Engler – die im Übrigen schon der Grossunternehmensnahe Think-Tank Avenir Suisse vor 3 Jahren verbreitet hat. Sie untersucht, wie die einzelnen Haushalte durch Steuern und Abgaben belastet werden und wieviel staatliche Transfers und Leistungen diese erhalten.
Die Studie verwendet auch die HABE und hat damit das gleiche Datenproblem wie das BFS. Schwerer wiegen allerdings andere methodische Probleme. Zunächst wären da die AHV-, IV- und BVG-Renten, die als staatliche Transfers gelten. RenterInnen, die sie erhalten, haben in der Regel kein oder nur ein kleines Erwerbseinkommen. Hinter den „tiefen Einkommen“, in der Tagi-Grafik und der Engler-Studie, die angeblich viele staatliche Leistungen erhalten, verstecken sich also hauptsächlich RentnerInnen mit ihren rechtmässig erworbenen Renten.
Das grösste Problem der Studie ist allerdings die Art und Weise, wie die öffentlichen Leistungen (Verwaltung, Bildung, Strasse, Polizei, Armee etc.) des Staates auf einzelne Haushalte heruntergebrochen werden. So wie es Engler tat, verzerrt es das Bild zuungunsten der tiefen und mittleren Einkommen.
- Leistungen werden Individuen zugeschrieben, obwohl sie gesamtgesellschaftlich wirken. So werden beispielsweise die öffentlichen Ausgaben für Schulen auf die Haushalte mit Schulkindern aufgeteilt. Die Aussage: Nur die Eltern von Schulkindern profitieren von Schulen. Es wird ignoriert, dass auch die Gesellschaft und die Wirtschaft davon profitieren. Diese erhalten nämlich mit gut ausgebildeten Kindern zukünftig mündige StaatsbürgerInnen bzw. qualifizierte Arbeitnehmende.
- Die öffentlichen Leistungen werden gänzlich auf private Haushalte abgewälzt, obwohl vor allem auch Unternehmen davon profitieren. Da die Unternehmensgewinne hauptsächlich von den reichsten Haushalten bezogen werden, unterschätzt diese Überwälzung der Leistungen auf die Haushalte den Nutzen des Staats für die Reichsten und überschätzt ihn für alle anderen.
- Staatliches Einwirken auf die Verteilung in der Marktsphäre wird ausgeblendet. Der Staat verteilt nicht nur um, sondern regelt auch wer auf dem Markt welche Einkommen erzielen kann. Die Arbeitsmarktpolitik einzelner Kantone, die kaum gegen Lohndumping vorgehen, führt bspw. dazu, dass die Löhne der Normalverdienenden gedrückt werden. Oder die Wohnbaupolitik ist heute oft nicht darauf ausgerichtet, möglichst günstigen Wohnraum zu schaffen, sondern privaten Investoren grosse Gewinne zu ermöglichen.
- Schliesslich gäbe es ohne den Staat keine Eigentumsordnung. Bspw. setzt alleine schon die Möglichkeit hohe Vermögen zu besitzen und darauf Einkommen zu erzielen einen Staat voraus.
- 1 Kommentare Kommentar(e)
Mein Kommentar
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05. Februar 2015
der tagi hetzt gegen kleine und mittlere einkommen
einmal mehr gilt: es bewährt sich nur den statistiken zu glauben, die man selber gefälscht hat.
n.b. der tagi hetzt - ist ein titel, der nur aufmerksamkeit zu erheischen sucht. clever aber grenzwertig nahe beim bouleward à la blick oder le matin.