Sanierungsfall Spanien?
Obwohl Spanien im Vergleich zum Durchschnitt der Euro-Länder eine tiefe Brutto- wie Nettoverschuldung hat (Link), ist das Land unter Druck gekommen. Es sei unsicher, ob der Spanische Staat seinen Verpflichtungen noch nachkommen könne. Die Reaktion der sozialistischen Regierung war heftig. Sie will den Staatshaushalt um rund 1.5 BIP-Prozente pro Jahr entlasten.
Die Immobilienkrise in Spanien ist zweifellos ein grosses Problem, das das Wachstum der Wirtschaft über einige Zeit zurückbinden wird. Die historische Erfahrung zeigt: Immobilienkrisen sind lange, hartnäckige Krisen, da zu Überbestände bei den Immobilien vorhanden sind und die Privathaushalte die Verluste auf ihren Immobilien verkraften müssen. Für den spanischen Staat bedeutet das auf absehbare Zeit geringere Einnahmen - ausser die Steuersätze werden erhöht.
Die beschlossenen Sparmassnahmen werden Spuren in der Konjunktur hinterlassen und
die wirtschaftliche Erholung behindern. Der spanische Staat sollte möglichst damit zuwarten, mindestens bis sich die Konjunktur stabilisiert hat.
Dass sich die Spanische Wirtschaft substanziell erholen wird, wird jedoch von zahlreichen Beobachtern in Frage gestellt. Die Spanische Wirtschaft hätte ein strukturelles Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit (s. z.B. die Studie der EU-Kommission Link, S. 74ff.). Die Lohnstückkosten seien seit Einführung des Euro auf ein zu hohes Niveau gestiegen, so dass die spanische Wirtschaft mehr importiert als sie exportieren kann (Leistungsbilanzdefizit). Für die spanische Wirtschaft sei der Euro überbewertet. Die Schlussfolgerung: Entweder steigt die Wirtschaft aus dem Euro aus und wertet ab, oder sie senkt die Löhne, um kostenmässig wieder wettbewerbsfähig zu sein. Das sagt beispielsweise auch Paul Krugman.
Doch die gleichzeitige Existenz eines Leistungsbilanzdefizites und einem Anstieg der Lohnstückkosten könnte auch anders interpretiert werden. Holt ein weniger reiches Land wirtschaftlich gegenüber reicheren Länder auf, weil die reichen Länder im weniger reichen Land investieren und produzieren, kann das genau so ausschauen. Die höhere Produktivität in der Exportwirtschaft führt zu höheren Löhnen. Da der Binnensektor (z.B. Coiffeure) nicht ihre Produktivität nicht im selben Ausmass erhöhen können, wie der Exportsektor, ihre Löhne aber mit dem Lohnanstieg im Exportsektor ebenfalls ansteigen, erhöht sich nicht nur das gesamtwirtschaftliche Lohnniveau, sondern auch die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten (Samuelson-Balassa-Theorem). Spanien hatte in den letzten Jahren ein starkes Wachstum (wobei der Immobilenboom natürlich einen starken BEitrag leistete) und verzeichnete in hohem Mass Direktinvestitionen.
Ein Vergleich von Entwicklungen gesamtwirtschaftlicher Lohnstückkosten ist somit trügerisch. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit sollte daher für vergleichbare Exportbranchen gesondert betrachtet werden. Eine solche Betrachtung ergibt ein etwas anderes Bild. Nehmen wir die Branche Fahrzeugbau (Autos, LKWs). Zwischen 2000 bis 2007 resultierte folgendes Wachstum (Link): +7.4% (Spanien), +30.3% (Frankreich), +10.9% (Italien), -18.5% (Deutschland). Die Lohnstückkosten Spaniens sind zwar stärker gestiegen als diejenigen Deutschlands. Aber im Vergleich zu Frankreich und Italien ist der Anstieg in Spanien unauffällig.
Doch selbst wenn die Lohnstückkosten zu hoch wären, gibt es zwei Seiten, diese Kosten zu senken. Entweder, indem die Löhne gesenkt, oder die Produktivität erhöht wird. Bemerkenswert dazu ist die Länderanalyse der OECD zu Spanien aus dem Jahr 2008. Diese weist auf Probleme im spanischen Bildungssystem hin, welches zu viele schlecht Qualifizierte und Akademiker und zu wenig FacharbeiterInnen produziert. Mit den beschlossenen Sparmassnahmen dürfte sich dieses Problem nicht lösen. Statt nur auf Sparmassnahmen zu setzen, wären weitergehende Analysen notwendig.