Staatsverschuldung: Ökonomisch haarsträubende Argumente
Mit diesem Beitrag verabschiedet sich der Blog in die Sommerpause bis ca. Mitte August.
Nachdem die Konjunkturpolitik seit den späten 1980er Jahren mehr und mehr an politischer Akzeptanz verloren hatte, waren Anfang 2009 plötzlich wieder staatliche Konjunkturprogramme en vogue. Doch seit einigen Wochen scheint der vorherige ideologische Status que wieder an Bedeutung zu gewinnen. Das vor allem mit dem Argument, Konjunkturprogramme würden die Staatsschulden in die Höhe treiben und dadurch die Wachstumsfähigkeit nach der Krise beeinträchtigen. Dieses Argument ist allerdings so nicht stichhaltig.
Wenn von Staatschuld die Rede ist, ist in der Regel von der Bruttoschuld die Rede. D.h. vom Fremdkapital ohne Berücksichtigung des staatlichen Vermögens. Dabei hat der Staat auch Vermögen, z.B. in Form von Wertpapieren oder Immobilien.
Wegen der Buchungspraxis in den Staatsrechnungen wird das Vermögen allerdings unterschätzt, indem beispielsweise Wertpapiere zum Nennwert verbucht werden und Immobilien sowie Grundstücke in der Vergangenheit stark abgeschrieben wurden. Darum können Bruttoschuld und Vermögen nicht direkt verglichen werden, sondern es muss ein indirekter Vergleich von Schuld und Vermögen vorgenommen werden. Zum Beispiel indem die Schuldzinsen mit den Vermögenserträgen verglichen werden. Stellt man
diese beiden Grössen einander gegenüber, so zeigt sich, dass die Erträge aus dem Vermögen die Passivzinsen deutlich übersteigen (Link, Tabelle A 9.1). Bund, Kantone und Gemeinden sind unter dem Strich daher nicht verschuldet, sondern netto vermögend. Der norwegische Staat weist eine Bruttoschuld von mehr als 50 Prozent des BIP aus. Dieser Schuld steht ein Vermögen gegenüber, das fast drei Mal so hoch ist (Link). Norwegen hat u.a. eine Bruttoschuld, damit auf dem norwegischen Kapitalmärkte mit staatlichen Obligationen versorgt sind. Ohne diese Staatsanleihen ist beispielsweise die Geldpolitik erschwert.
Doch selbst wenn ein Staat netto verschuldet ist, ist das noch kein Grund zur Beunruhigung. Wegen den Schuldzinsen droht keine Schuldenspirale, solange die Schuldzinsen nicht grösser sind als das Staatsdefizit und die Nominalzinsen gleich gross sind wie das längerfristige BIP-Wachstum (Link, S. 215). In diesem Fall ist die Schuldenquote - das Verhältnis der Staatsschuld zum BIP - konstant.
Solange ein Staat nicht stark gegenüber dem Ausland verschuldet ist, wird auch durch die Staatsschuld niemand ärmer bzw. die nachfolgenden Generationen werden nicht belastet. Ein Beispiel: Ein Dorf organisiert ein Fest. Die Gemeinde bezahlt. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, das Fest zu finanzieren, a) entweder die Gemeinde nimmt einen Kredit bei ihren BewohnerInnen auf, oder b) die Gemeinde erhöht die Steuern um so viel, wie das Fest kostet. Was heisst das nun für die Kinder der BewohnerInnen, die das Fest veranstaltet haben. In beiden Fällen vererben die BewohnerInnen ihren Kindern ein Vermögen, das um den Betrag gesunken ist, welcher das Fest gekostet hat. Wobei sie im Fall a) ihren Kindern zusätzlich eine Obligation auf den Betrag, den das Fest gekostet hat, vererben. Wenn die Gemeinde die Obligation zurückzahlen wil, muss sie die Steuern erhöhen. D.h. die BewohnerInnen, die eine Obligation halten, werden mehr Steuern bezahlen müssen, damit ihnen die Schulden zurückbezahlt werden können. Ein Nullsummenspiel also. Fazit: Egal ob das Fest über einen Kredit oder über höhere Steuern finanziert wurde: Das Geld ist ausgegeben.