Gewerkschaften im Osten: Der Neubeginn
Gibt es überhaupt Gewerkschaften in Osteuropa? In der Tat sind dort mit dem Mauerfall nach 1990 meist auch die früheren Staatsgewerkschaften zusammengebrochen. Es blieben oft nur abhängige Hausverbände übrig. Auch die Schliessung ganzer Industriezweige trug zum Verschwinden der Gewerkschaften bei: In den polnischen Kohlebergwerken und Werften hatten bis 1990 Hunderttausende Büezer Arbeit und waren gut organisiert. Heute arbeiten da nur noch Zehntausende. Die EU säuselte später zwar vom Aufbau von Sozialpartnerschaft in den Ostländern, verschrieb ihnen aber gleichzeitig die Deregulierung des Arbeitsmarktes - und da hatten Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträge (GAV) auch keinen Platz.
Bewegung in Rumänien und Ungarn
In den letzten Jahren hat sich in den Ländern von Mittel- und Osteuropa einiges verändert: Die Wirtschaften fassten nach dem Rückschlag der grossen Krise wieder Tritt, die Arbeitslosigkeit ging zurück. Alle reden jetzt davon, die Lebensbedingungen im Osten sollten sich endlich jenen im Westen annähern. Dazu braucht es aber auch die Gewerkschaften. Sie erreichen derzeit vielerorts Reallohnerhöhungen im zweistelligen Prozentbereich. In Rumänien erkämpften sie einen flächendeckenden GAV für die Bankenbranche. In Ungarn demonstrierten sie gegen das "Sklavengesetz" der Regierung, das Überstunden à gogo erlauben will.
Aufwind auch in Polen
Auch in Polen haben die Gewerkschaften Aufwind. Zum Beispiel der polnische Gewerkschaftsverband OPZZ, der im Ausbildungssektor tätig ist. Neu hilft OPZZ zudem den ukrainischen Migrantinnen und Migranten beim Aufbau eines eigenen Verbands. Aus der Ukraine wanderten nämlich in den letzten Jahren gegen zwei Millionen Menschen nach Polen ein. Ihre Aufenthaltsbewilligungen gelten meist nur für neun Monate, und ihre Lebenssituation ist prekär. Sie brauchen dringend eine Gewerkschaft.